Glück - Gegenstand der Forschung, Inhalt unserer Träume


 

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Einführung - Glück und Selbst

Das Thema "Glück" ist einerseits uralt, andererseits brandaktuell. Die Menschen streben nach Glück, aber wie uns die Forschung lehrt, sind sie nicht dazu bestimmt. Das Glücklichsein fällt vielen schwer. Auch dann, wenn es ihnen materiell gut geht. Ja, gerade in Wohlstandsgesellschaften scheint das Risiko der Depression, also des Befindlichkeits-Gaus am größten zu sein. Diese Beobachtung haben schon antike Philosophen gemacht und sie spielt in vielen Werken zur Lebenskunst eine wichtige Rolle. Allerdings ist vielleicht auch die Depression als große Krise eine Chance auf dem Weg zum Glück. (Bauer/Bohn/Kemna/Logemann 2010, S. 162 ff.)

Forschungsaktivitäten zum Thema Glück (Sammelbegriff für Konzepte wie "Wohlbefinden, seelischer Reichtum, Lebenszufriedenheit, Zuversicht, Optimismus, Resilienz, optimale Beanspruchung" usw.) finden vor allem  in den USA statt, Glücksforscher gibt es aber auch in Kanada und einigen wenigen europäischen Ländern. Mit Glück befassen sich vor allem Soziologen, Anthropologen, Psychologen, Ökonomen, neuerdings auch Neurowissenschaftler, kaum jedoch Erziehungswissenschaftler. Löbliche Ausnahmen führe ich in einem kleinen Aufsatz (Bauer 2009) auf. Dabei hat die Bildungstheorie dereinst mit dem Glück angefangen. Interessant ist im Hinblick auf die deutsche Situation auch, dass einige Standardwerke der empirischen Glücksforschung bisher nicht ins Deutsche übersetzt worden sind. Interessant ist ferner, dass die Deutschen trotz ihres Wohlstandes beim Glück ähnlich abschneiden wie bei der Lesekompetenz: allenfalls mittelmäßig. Dänen, Schweden, Niederländer berichten über deutlich höhere Lebenszufriedenheit, Zuversicht, Glückgefühle usw.

Das beste einführende Buch über empirische Glücksforschung, das ich bisher in die Hände bekam, stammt von einem amerikanischen Psychologieprofessor, der natürlich außer den objektiven Lebensumständen auch die inneren Faktoren behandelt (Haidt 2009). Ich habe die gut 300 Seiten an einem Wochenende gelesen, während ich versuchte, eine Bronchitis auszukurieren. Das Buch hatte eine therapeutische Nebenwirkung. Ich vergaß den Reizhusten, wenigstens zeitweise. Drei innere Faktoren stellt Haidt zunächst in den Mittelpunkt. Unter anderem diskutiert er die Wirksamkeit von Meditation, kognitiver Verhaltenstherapie und Medikamenten wie Fluoxetin bei der Beseitigung des Unglücklichseins. Das sind die drei, deren Wirksamkeit auch in Tausenden von Studien überprüft wurde. Außerdem behandelt er ausführlich die Themen soziale Bindung, Umgang mit Krisen und Transzendenz. Und da wird es dann besonders spannend.

Zu den Glücksfaktoren, die in der empirischen Forschung nachgewiesen wurden, gehören neben inneren Faktoren auch die Lebensumstände. Interessant ist hier, dass nur wenige äußere Faktoren einen deutlichen Einfluss haben. Dazu gehören Lärm und Pendeln. Menschen können sich offenbar nicht gut an permanente Lärmbelästigung anpassen, und das tägliche Pendeln vom Wohnort zum Arbeitsort führt zu einer Beeinträchtigung des Wohlbefindens. Pendeln müssen ist also ein Faktor, der zum Unglücklichsein beiträgt. Die Vorstellung jedoch, dass die Menschen im sonnigen Kalifornien glücklicher seien als im Norden der USA, ist falsch. Auch die Annahme, jüngere Menschen seien glücklicher als alte, ist falsch. 

Natürlich macht es Menschen nicht gleich glücklich, wenn sie den Abstand zwischen Wohnung und Arbeitsplatz verringern, aber es nimmt dem Unglück einigen Wind aus den Segeln. Die empirische Forschung zeigt, dass eben nur sehr wenige Lebensumstände diese merkwürdige Eigenschaft haben. Das Einkommen zählt auch dazu. Derzeit sind die ärmsten in Europa (und auch sonst auf der Welt) auch die Unglücklichsten. Jenseits einer bestimmten Wohlstandsschwelle aber, die wir Deutschen längst überschritten haben, steigt das Glücksgefühl auf der Ebene von Gesellschaften nicht weiter an. Für die Individuen innerhalb einer Gesellschaft, die wenig verdienen, trägt es aber weiterhin zum Glücklichsein bei, wenn es ihnen gelingt, ihr Einkommen zu erhöhen. Spitzenverdiener dagegen werden durch noch mehr Geld auch nicht viel glücklicher. 

Wenn das Glück nicht von alleine kommt, wer ist dann dafür zuständig? Die vorläufige Antwort lautet: das Selbst. Mal wieder. Aus diesem Grund halte ich es für wichtig, dass Bildungsforscher sich auch über das Glück Gedanken machen und in diesem Zusammenhang über die Wirkungen und Aufgaben von Bildung und Erziehung. Eine präzisere Antwort relativiert allerdings die Bedeutung des Selbst. Gerade in der Transzendenz, also in der Auflösung des Selbst in einen größeren Zusammenhang, wie etwa während der Meditation oder bei einem besonders eindrucksvollen Gottesdienst oder angesichts der überwältigenden Schönheit der Natur oder der Kunst erleben Menschen Gefühle des Erhobenwerdens, des Aufgehobenseins, bei denen das Selbst sich völlig auflöst. Haidt, der sich selbst als jüdischen Atheisten (Haidt 2009, S. 246) bezeichnet, hat diesem Thema das vielleicht wichtigste, auf jeden Fall aber originellste Kapitel in seinem Buch gewidmet (Haidt 2009, S. 243-279) Diese Glücksgefühle wirken nach und führen zu einer veränderten Lebenseinstellung und Haltung, insofern betreffen sie auch das Selbst. Möglicherweise spielen sie eine Schlüsselrolle im Prozess des Selbstwandels. Aber das ist noch nicht ganz geklärt. Vor diesem Hintergrund eröffnen sich neue Perspektiven für die religiöse Erziehung und den Umgang mit Transzendenz auch bei Atheisten und Menschen ohne Religionszugehörigkeit. 

Glücksforschung im großen Stil

Martin Seligman, einer der bedeutendsten Psychologen unserer Zeit, bezeichnet Ed Diener, Psychologieprofessor an der University of Illinois, als "the leading professional scientist of happiness in the world", Grund genug, um mir das Buch vorzunehmen, dass Ed Diener zusammen mit seinem Sohn Robert Biswas-Diener geschrieben hat (Diener/Biswas-Diener 2008). Es lohnt sich, das Buch sorgfältig zu studieren, weil es belegt, dass die empirische Glücksforschung zu wichtigen und keineswegs trivialen Aussagen gelangt ist. Viele Ergebnisse sind kontraintuitiv, und einige widersprechen auch den alten Weisheitslehren. Wäre das nicht so, dann wäre die empirische Glücksforschung ja auch ziemlich überflüssig. Die Dieners arbeiten mit einem mehrdimensionalen Konstrukt, das sie psychological wealth nennen. Ich möchte das mit "psychologischem Reichtum" übersetzen, weil es sich ja um eine wissenschaftliche Perspektive auf den inneren Reichtum handelt, im Unterschied etwa zu einer eher philosophischen oder religiösen Betrachtung innerer Werte. Zu den Erkenntnissen der empirischen Glücksforschung gehört es, dass es zwischen psychologischem Reichtum und Gesundheit einen - allerdings nichtlinearen - Zusammenhang gibt. Auch Glück und beruflicher Erfolg hängen zusammen, jedoch ebenfalls nichtlinear. Bedeutsam ist aus meiner Sicht außerdem, dass Glück, Wohlgefühl und Zufriedenheit weniger auf das Erreichen von Zielen zurückzuführen sind, als vielmehr aus dem Prozess entstehen, mit dem wir uns unseren Zielen - oft mühsam genug - annähern. 

Auf der Ebene von Gesellschaften beträgt die Korrelation zwischen Einkommens- und Glücksniveau .82, das ist sehr hoch. Es zeichnet jedoch Glücksforscher wie das Diener-Tandem (Diener/Biswas-Diener 2008) aus, dass sie sich mit diesen Daten nicht begnügen und vor allem darauf hinweisen, dass diese Ergebnisse nicht kausal interpretiert werden dürfen. So lässt sich zeigen, dass Menschen, die auf Besitz verzichten, also arm sind, wie etwa Nonnen, durchaus sehr glücklich sein können. Es lässt sich auch zeigen, dass Obdachlose in Kalkutta mit ihrem Leben eher zufrieden sind, im Gegensatz zu Obdachlosen in Vergleichsregionen in den USA. Und es lässt sich zeigen, dass in Deutschland Menschen, die mehr als 200.000 Euro verdienen, glücklicher sind als Personen, die "nur" 60.000 Euro im Jahr haben. Die Erklärung für diese scheinbar widersprechenden Ergebnisse liegt darin, dass die Kausalbeziehungen zwischen Glück und Lebenszufriedenheit auf der einen, Geld auf der anderen Seite komplexer Natur sind. Sie hängen von Drittvariablen ab, wie etwa der Kreativität oder dem Arbeitsengagement. Glückliche Menschen arbeiten gern und gestalten ihre Arbeitsplätze auf kreative Weise. Das führt nebenbei dazu, dass sie auch mehr verdienen. In diesem Fall macht das Glück reich, und nicht umgekehrt. Wichtig ist auch das Verhältnis von Ansprüchen und Einkünften. Menschen mit einem hohen Einkommen sind dann mit ihrem Leben unzufrieden, wenn das viele Geld nicht ausreicht, um ihre Ansprüche zu erfüllen. Wer "nur" 200.000 verdient, kann sich wohl kaum eine Villa am Genfer See leisten oder einen teuren Oldtimer, ohne auf vieles andere zu verzichten. Dass reiche Menschen im allgemeinen glücklicher sind als arme, hängt damit zusammen, dass die Ansprüche bei den meisten nicht so schnell wachsen wie das Einkommen. Und dass arme Menschen glücklich sein können, hängt damit zusammen, dass es neben den materiellen Fakturen andere mächtige Glückfaktoren gibt. Und damit, dass sie manchmal nur bescheidene Ansprüche haben. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Materialisten, die nach Geld um seiner selbst willen streben, durchweg weniger glücklich sind als Nichtmaterialisten. Die Regressionsgeraden zwischen Einkommen und Glück dieser beiden Gruppen schneiden sich erst bei 300.000 Dollar. So viel muss man als Materialist verdienen, um genauso glücklich zu sein wie ein Nichtmaterialist. Fazit: Geld trägt zum Glück bei, das Streben nach materiellem Reichtum macht eher unglücklich. 

In seinem 2011 erschienenen Buch über das persönliche Wachstum (deutsch 2015, vgl. Seligman 2015) hat Martin Seligman seine Theorie des seelischen Wohlbefindens gründlich überarbeitet und legt nun ein mehrdimensionales Konstrukt des persönlichen Wohlbefindens vor, das subjektive und objektive Faktoren miteinander verbindet. Außer dem Glücksgefühl spielen auch  objektivierbare Indikatoren wie der  im Leben verwirklichte Sinn oder die Resilienz eine zentrale Rolle. Um Missverständnissen vorzubeugen schlägt er folgerichtig vor, eher von persönlichem Wohlbefinden als von Glück zu sprechen.

Glückliche Gesellschaften

Zwischen den Gesellschaften bestehen teilweise große Unterschiede im Hinblick auf das Glücksniveau ihrer Bevölkerung. Die Top Ten mit der glücklichsten Bevölkerung sind Dänemark, Finnland, die Niederlande, Norwegen, die Schweiz, Neuseeland, Australien, Kanada, Belgien und Schweden. Interessant ist, dass viele dieser Länder auch beim mehrdimensionalen persönlichen Wohlbefinden nach Seligman (2015, S. 51) auffallend gut abschneiden.  Dies sind nicht nur reiche Länder, sondern Länder mit stabilen Demokratien, in denen die Menschenrechte geachtet werden. Am anderen Ende stehen Länder mit niedrigem Einkommensniveau, instabilen politischen Verhältnissen, schlechter medizinischer Versorgung, staatlicher Korruption und Menschenrechtsproblemen. "Combining low incomes, politicial instability, major health concerns, government corruption, and human-rights problems can create a culture in which many people experience very low happiness." (Diener/Biswas-Diener 2008, S. 132) Auch Regierungen tragen erheblich dazu bei, wie glücklich die Bevölkerung überhaupt sein kann. 

 

Experimentelle Ansätze

Ebenfalls zur obersten Liga der empirischen Glücksforscher zählt die Amerikanerin mit russischen Wurzeln Sonja Lyubomirsky, Professorin für Psychologie an der University of California. Sie hat auf empirisch-wissenschaftlicher Grundlage ein Buch verfasst, das Menschen helfen soll, glücklicher zu werden (Lyubomirsky 2008). Dieses Buch unterscheidet sich von den meisten Ratgebern dieser Art grundlegend, weil es auf experimentellen Interventionsstudien basiert. Die Autorin ist keine Trainerin und keine Therapeutin, sondern anwendungsorientierte Forscherin. Ihr Ansatz ist differenziell, dass heißt, der Leser wird aufgefordert, sich selbst zu testen, um zunächst zu klären, welches Programm am besten zu seinen Stärken passt. Ihr Ansatz ist sehr viel enger und präziser auf Intervention und Veränderung ausgerichtet als der Ansatz des Diener-Tandems. Sie schätzt die Bedeutung der Lebensumstände vielleicht deswegen geringer ein als andere Autoren. Für den Benutzer des Buches ist das aber nicht so wichtig, weil sie auf jeden Fall Wege aufzeigt, am eigenen Glück zu arbeiten, und zwar sehr systematisch. Für mich als empirischen Forscher ist es besonders erfreulich, dass sie mit einer Vielzahl von Messinstrumenten arbeitet, um persönliche Eigenarten und Strategien sowie Merkmale von Glück und Wohlbefinden präzise zu erfassen. Das ist ja eine Voraussetzung für die Überprüfung der Wirksamkeit von Verhaltensänderungen. 

 

Gesellschaftsspiel oder seriöse Forschung? Methodologische Probleme

Kritiker der empirischen Glücksforschung halten es für unmöglich, das von Menschen erlebte Glück tatsächlich valide zu messen. Ihrer Ansicht nach ist die quantitative Erforschung von Glück allenfalls ein Gesellschaftsspiel, aber keine seriöse wissenschaftliche Arbeit. Sie können einige gute Argumente für ihre Position ins Feld führen. So werden Glückszustände meist retrospektiv erfragt. Die Antworten sind von der Situation und andern Faktoren stark beeinflusst. Eindimensionale Testinstrumente erfassen nur bestimmte Aspekte, Glück ist aber von vielen emotionalen und kognitiven Prozessen abhängig, die gleichzeitig ablaufen und ineinander greifen. Vergleichende Untersuchungen an Chinesen und Amerikanern zeigen, dass Amerikaner dann glücklicher erscheinen, wenn die üblichen Fragebögen eingesetzt werden. Wendet man andere Verfahren an, die eher die momentane Situation erfassen, gibt es keinen Unterschied mehr. Amerikaner erleben sich selbst retrospektiv als glücklicher, weil sie das für normal halten. Chinesen halten es für normal, das Leben als eine Mischung aus guten und schlechten Erfahrungen zu betrachten und finden es ganz in Ordnung, nicht immer glücklich zu sein. Die gefundenen Unterschiede zwischen Gesellschaften sind also teilweise methodenabhängig.  Eine Antwort auf diese methodologischen Probleme  besteht in der von Csikzentmihalyi entwickelten Erlebnisstichprobenmethode (ESM), mit der Tätigkeiten und begleitende Gefühle nicht retrospektiv, sondern in der erlebten Situation selbst erfasst werden (Csikzentmihalyi/Hunter 2003). Die wichtigsten Testinstrumente zur Messung des empfundenen Glücks sind in einem sehr guten Überblick bei Bucher (2009) zu finden. Bucher diskutiert auch die zentralen methodologischen Probleme bei der Operationalisierung von Glück und zeigt damit einen Entwicklungsbedarf auf. Sein Buch ist eine ausgezeichnete Einführung in die Glücksforschung für Psychologen, Psychotherapeuten, Berater und Pädagogen. 

Fazit: Es gibt eine Reihe von reliablen Verfahren zur Messung des erlebten Glücks. Diese Verfahren sind mehrdimensional, sie berücksichtigen also drei oder mehr relevante Dimensionen wie etwa die Lebenszufriedenheit, die Stimmung und das Ausmaß depressiver Verstimmung. Einige Verfahren messen auch die Intensität der erlebten Gefühle. Diese Verfahren sind insgesamt gesehen ausreichend bis befriedigend valide. Die Validität steigt, wenn außerdem ESM eingesetzt wird oder Tagesabläufe erfasst werden. Aber auch dann bleiben Schwachpunkte. Das ist aber in anderen Bereichen der Forschung, insbesondere in der Bildungsforschung, nicht ungewöhnlich. Auch Konstrukte wie Lesekompetenz, Sozialkompetenz, Prozessqualität von Unterricht, Lehrergesundheit lassen sich zwar operationalisieren. Aber die prognostische und externe Validität stehen auch hier immer noch auf dem Prüfstand.  Mit der Lösung methodologischer Probleme steht und fällt allerdings auf lange Sicht die empirische Glücksforschung. Hier gibt es für Nachwuchswissenschaftler noch viel zu tun.

Glück und Bildung

Auch Zusammenhänge zwischen formaler Bildung und Glück sind empirisch untersucht worden. Bemerkenswert ist, dass die OECD in ihrem jüngsten Bericht "Education at a  glance" (online verfügbar unter www.oecd.org) deutliche Unterschiede zwischen den untersuchten Ländern im Hinblick auf die Zusammenhänge zwischen Bildungsabschlüssen und Lebenszufriedenheit nachweisen konnte. Deutschland fällt dadurch auf, dass hier der Zusammenhang zwischen einem Hochschulabschluss und der Lebenszufriedenheit sehr stark ausgeprägt ist, während der Bildungsabschluss in Dänemark kaum eine Rolle spielt. In Deutschland ist die Lebenszufriedenheit der Bürger ohne Hochschulabschluss unterdurchschnittlich; nur jeder zweite ist mit seinem Leben zufrieden. Bei den Bürgern mit Hochschulabschluss steigt der Anteil der Zufriedenen auf fast achtzig Prozent an.

 

Effektive Bildung leistet einen substanziellen Beitrag zum inneren Reichtum und damit zu den Ressourcen, die Menschen brauchen, um glücklich zu sein und vor allem, um das unvermeidliche Unglück zu ertragen und ihm einen Sinn zu verleihen. Effektive Bildung findet nicht nur in Institutionen statt, sondern ist die Angelegenheit jedes einzelnen Menschen, der lernen kann, auf sich acht zu geben und seine inneren Schätze zu heben und zu bewahren. 

Effektive Bildung ist mehr als Kompetenzerwerb; sie zielt auf Wissen und durch Anstrengung erworbenes Können, zugleich aber auch auf die  Entwicklung eines Selbst, das seinen eigenen Weg findet und sein Leben genießen kann. Institutionelle Bildung ist so zu gestalten, dass sie einer effektiven Bildung nicht im Wege steht, auch wenn sie Menschen nicht direkt zum Glück führen kann. 

Wir untersuchen im Rahmen von Längsschnittstudien Zusammenhänge zwischen institutioneller Bildung und Glückserfahrung von Kindern und werden in Kürze darüber berichten. Bisher konnten wir Untersuchungen an acht Schulen durchführen. Grundlage dafür ist eine Zwei-Faktoren-Theorie, die davon ausgeht, dass Glücksempfinden und Leistung bzw. Kompetenz zwei voneinander unabhängige Variablen sind, die sich durch unterschiedliche Bedingungen und Maßnahmen fördern lassen. Dabei gibt es keine Leistungsverluste, wenn Glücksempfinden gefördert wird; und es gibt keine Verluste an Glück und Freude in Schulen, wenn Leistungsverhalten gefördert wird.


 

Aktuelle Ergebnisse seit 2017

 

Der World Happiness Report der Vereinten Nationen von 2017 ermöglicht einen Vergleich von immerhin 155 Ländern. Das Ranking zeigt, dass Deutschland auf Platz 16 steht. Die ersten Plätze werden von Norwegen, Dänemark, Island, der Schweiz, Finnland, den Niederlanden, Kanada, Neuseeland, Australien und Schweden belegt. Differenzierte Analysen mit multiplen Regressionen für einzelne Länder liefern ein durchaus überraschendes Ergebnis: Der beste Prädiktor für Lebenszufriedenheit ist in den westlichen Gesellschaften die seelische Gesundheit. Einkommen, Beschäftigung, Bildung und Partnerschaft haben ebenfalls einen deutlichen Einfluss, aber der Einfluss der seelischen Gesundheit ist der stärkste. Gute Prädiktoren für eine hohe Lebenszufriedenheit im Erwachsenenalter sind günstige familiäre Bedingungen und ein gutes schulisches Umfeld. Dabei ist der Umgang der Eltern mit den Kindern entscheidend, das Einkommen spielt nur eine Nebenrolle. Auch für die Schule gilt, dass nicht kognitive Variablen entscheidend sind, sondern die soziale und emotionale Qualität der Schule.

"In all three Western countries, diagnosed mental illness emerges as more important than income, employment or physical illness. In Indonesia as well, mental health is important, though less so than income. In every country physical health is of course also important, but in no country is it more important than mental health." (Helliweel et. al. 2017, S. 126)

Die Studie enthält auch ein umfangreiches Kapitel zum Beitrag der Arbeit zum persönlichen Wohlbefinden. Es zeigt sich, dass Arbeitslosigkeit unter den objektiven Faktoren den stärksten negativen Einfluss auf das Wohlbefinden hat. Eine wichtige Rolle spielt auch die Art der Beschäftigung. Leitende Angestellte und Beamte (senior professionals) weisen ein höheres Wohlbefinden auf als manuelle Arbeitskräfte. Wichtig ist neben der guten Entlohnung ebenso die Qualität der Arbeitsplätze: "Well-paying jobs are conducive to happiness, but this is far from being the whole story. A range of further aspects were found to be strongly predictive of varied measures of happiness. Some of the most important job factors that were shown to be driving subjective wellbeing included work-life balance, autonomy, variety, job security, social capital, and health and safety risks." (Helliwell et al. 2017, 171) Dass in den letzten zehn Jahren das Wohlbefinden in Deutschland zugenommen hat, dürfte also auch auf das deutsche "Jobwunder" zurückzuführen sein. Die sehr schlechten Glückswerte für Italien und Griechenland sind theoriekonform.


John Helliwell, Richard Layard, and Jeffrey Sachs Associate Editors: Jan-Emmanuel De Neve, Haifang Huang and Shun Wang (editors): WORLD HAPPINESS REPORT 2017,  http://worldhappiness.report/ed/2017/

Die jüngste von der Deutschen Post herausgegebene Studie zum Glücksempfinden in Deutschland zeigt einige interessante Trends auf. Nach einer lang anhaltenden positiven Entwicklung hat sich der Trend nun leicht umgekehrt (Krieg/Raffelhüschen 2017, 24 f.). Das Glücksniveau in Deutschland scheint wieder etwas zu sinken, wobei dieser Trend noch statistisch abgesichert werden muss. Beigetragen zu der positiven Entwicklung von 2004 bis 2015 haben der deutliche Rückgang der Arbeitslosigkeit und der leichte Anstieg der Realeinkommen. Negativ wirkt sich nun meiner Ansicht nach aus, dass die Politik die mit der positiven wirtschaftlichen Entwicklung eröffneten Chancen verspielt hat. Die Einwanderungspolitik erscheint konfus und ohne klares Ziel, die Haltung der Regierung gegenüber betrügerischen Manipulationen großer Autokonzerne viel zu weich, ökologische Fragen werden in ihrer Bedeutung unterschätzt, und auch in der Bildung geht es erkennbar abwärts. Den Rückstand in Fragen der Digitalisierung erleben viele Bürger jeden Tag, wenn das Herunterladen notwendiger Updates nicht klappt, und die Sensibilität gegenüber Emissionen von Lärm und Schmutz, die vermeidbar wären, hat deutlich zugenommen. Meine Prognose für die nächsten Jahre lautet daher: Die Regierung hat durch gravierende Fehler das "Glückspolster", auf dem die Deutschen es sich dank der guten Wirtschaftsentwicklung bequem machen konnten, rasch aufgezehrt. Die Unzufriedenheit wächst wieder, auch geschürt durch rechtspopulistische Bewegungen, die vor allem auf negative Gefühle wie Ängste, Hass und Neid setzen. Deutschland wird also im internationalen Vergleich wieder zurückfallen und innerhalb Europas nicht länger unter den Top Ten bleiben. Die Ursache dafür ist ein Versagen der Politik. Ich hoffe sehr, dass ich mit meiner Prognose falsch liege.

Der World Happiness Report von 2018, erschienen im März 2018, sieht Finnland auf Platz eins, gefolgt von Norwegen, Dänemark, Island, der Schweiz, den Niederlanden, Kanada, Neuseeland, Schweden und Australien (http://worldhappiness.report/ed/2018/, 20). Deutschland steht auf Platz 15, vor den USA, die auf Platz 18 abgerutscht sind und seit Jahren zu den Verlierern zählen. Bemerkenswert sind die Analysen zur Glücksentwicklung bei Einwanderern. Sie zeigen, dass Einwanderer sich an das Glücksniveau des Ziellandes anpassen. Kommen sie aus Ländern mit niedrigen Glücksniveaus und wandern in Länder mit hohem Glücksniveau ein, steigt auch ihr Wohlbefinden. http://worldhappiness.report/ed/2018/


 

Literatur

 

Bauer, K.-O. (2009). Das Selbst im Glück. Institutionelle und informelle Bildung als persönliche Entwicklungskontexte. In: Spetsmann-Kunkel, M. (Hrsg.): Gegen den Mainstream. Kritische Perspektiven auf Bildung und Gesellschaft. Festschrift für Georg Hansen. Münster u.a.: Waxmann, S. 284-307

Bauer, K.-O./Bohn, A,/Kemna, P./Logemann, N. (2010). Pädagogische Qualität messen. Ein Handbuch. Münster, New York, Berlin, München: Waxmann, darin Kap. 5.4 und 5.5

Bauer, K.-O./Burchert, A. (2015): Auswirkung einer Schulentwicklungsmaßnahme auf die Leistungsentwicklung und psychosoziale Merkmale von Oberschüler(innen). Zeitschrift für Evaluationsforschung 14 (2), S. 247-273

Bucher, A. A. (2009). Psychologie des Glücks. Ein Handbuch. Basel: BeltzPVU 

Csikzentmihalyi, M./Hunter, J. (2003). Happiness in everday life. The uses of Experience Sampling. In: Journal of Happiness Studies 4, 185-199

Diener, E./Biswas-Diener, R. (2008). Happiness. Unlocking the Mysteries of Psychologial Wealth. Malden u.a.: Blackwell

Haidt, J. (2009). Die Glückshypothese. Was uns wirklich glücklich macht. Die Quintessenz aus altem Wissen und moderner Glücksforschung. Kirchzarten: VAK

John Helliwell, Richard Layard, and Jeffrey Sachs Associate Editors: Jan-Emmanuel De Neve, Haifang Huang and Shun Wang (editors): WORLD HAPPINESS REPORT 2017,  http://worldhappiness.report/ed/2017/

John F. Helliwell, Richard Layard and Jeffrey D. Sachs (editors): World Happiness Report 2018, http://worldhappiness.report/ed/2018/

Krieg, O./Raffelhüschen, B. (2017). Deutsche Post Glücksatlas 2017. München: Knaus

Lyubomirsky, S. (2008). Glücklich sein. Warum Sie es in der Hand haben, glücklich zu leben. New York/Frankfurt: Campus

Seligman, M. (2015). Wie wir aufblühen. Die fünf Säulen des persönlichen Wohlbefindens. München: Goldmann

 

 

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